Vergabe von Sozialwohnungen – Modell für absolute Transparenz und mehr Service

Angesichts seit Jahren steigender Mieten und Wohnungskosten in ganz Vorarlberg, besonders aber in den Städten im Rheintal ist der Bau und die Verwaltung unserer gemeinnützigen Wohnungen eine der wichtigsten und zentralen Aufgaben jeder Gemeindeverwaltung. Dornbirn war schon früh eine der Vorzeigekommunen auf diesem Gebiet, viele der in Dornbirn entwickelten Vergaberegeln hat das Land als Vorbild in seine Richtlinien übernommen.

Trotzdem ist der Zuweisungs- und Vergabeprozess im Wohnungsausschuss immer wieder ein bizarres Schauspiel, werden doch Datensammlungen der Bewerber für die Wohnungen erst zu Sitzungsbeginn verteilt, um – ohne aus Zeitgründen echte Gelegenheit zu eingehenderem Studium der Unterlagen zu haben – dann rasche und daher kaum fundierte Entscheidungen treffen zu müssen. Der Grund für dieses Vorgehen ist, so jegliche Einflussnahmen durch die Bewerber selbst oder ihnen nahestehende politische Funktionäre zu verhindern. Ein an sich lobenswertes Motiv.

Die Stadt Dornbirn unternimmt massive Anstrengungen, die Digitalisierung als Mittel für raschere und servicereichere Dienstleistungen für die Bürger voranzutreiben. Dafür wurde sogar ein eigenes Ressort im Stadtrat geschaffen. Da die Wohnungsvergabe einer der Prozesse mit den häufigsten Bürgerdirektkontakten ist, habe ich mir diesen mal auf Möglichkeiten auf digitale “Aufrüstung” angesehen. Als Unternehmens- und Organisationsberater bin ich es gewohnt, komplexe Prozesse in ihre Einzelkomponenten zu zerlegen, um dann jeden einzelnen Schritt zu prüfen und zu hinterfragen. Und genau dabei bin ich auf etwas sehr Erstaunliches gestoßen!

Auf der einen Seite gibt es Wohnungswerber, die je nach Anzahl der Personen, die wohnen wollen, einen entsprechenden Platzbedarf sowie ein verfügbares Haushaltseinkommen haben. Auf der anderen Seite kommen neue oder freigewordene Wohnungen ins Spiel, die einen bestimmten Platz bieten und eine angemessene günstige Miete kosten. Das Zusammenführen dieser beiden Faktoren Nachfrage und Angebot erfolgt durch Vorschlag des Wohnungsreferenten und Beschluss des Wohnungsausschusses, der dafür recht häufig tagen muss. Für die Vorschläge orientiert sich der Wohnungsreferent an einer Warteliste, die einem Punktesystem folgt und nach vorwiegend sozialen Kriterien, aber auch anderen Faktoren wie Dauer des Wohnaufenthaltes bisher die Wohnungswerber reiht.

Obwohl jedem vernünftigen Menschen klar sein sollte, dass Wohnungsnot ein soziales Problem ist, das jeden Menschen in Vorarlberg treffen kann, ist aus einem Evaluierungsbericht der Landesregierung 2017/2018 zu entnehmen, dass etwa Wohnungssuchende mit österreichischer Staatsbürgerschaft überproportional zu Sozialwohnungen kommen, auf der anderen Seite etwa anerkannte Asylwerber stark unterproportional berücksichtigt werden. Dies verblüfft in einem streng objektiven Verfahren, in dem Nationalität oder Migrationshintergrund offiziell keinerlei Rolle spielen darf.

Obwohl – offiziell zumindest – längst ein Relikt vergangener Jahrzehnte, ist gerade im Wohnungsvergabewesen die politische Intervention ein sogenannter Klassiker: Das “Lied”: “Gib mir deine Wählerstimme, dann geb ich dir eine Sozialwohnung!” haben weniger talentierte Regionalpolitiker mangels anderer guter Sachgründe hinter vorgehaltener Hand besonders gerne auf ihrem “Wahlkampfklavier” gespielt.

Nach diesem Ausflug in die Vergabetheorie und –praxis zurück zu meiner Entdeckung: Sämtliche bewusste oder unbewusste Beeinflussungen einer rein objektiven bedarfsorientierten Vergabe setzen voraus, dass zum Zeitpunkt der Wohnungszuweisung persönliche Daten des Bewerbers (Name, Nationalität, Herkunft) zur Verfügung stehen. Diese Daten sind zwar für die Feststellung der Identität und Erfüllung von Bewerbungskriterien nötig, aber definitiv nicht für den Prozess der Wohnungszuweisung.

Die Lösung: Durch strikte Trennung dieser beiden Prozesse kann ein 100% objektives Vergabeverfahren sichergestellt werden!

Welche Stelle hat bereits die meisten Daten von Wohnungsbewerbern? Das Meldeamt. Wenn hier die – digital über eine App oder auf Wunsch auch ganz persönlich –erfassten Daten geprüft und zusammengefasst werden, wird daraus ein Bewerberfile erstellt, das wir zum Beispiel “Wohnticket Dornbirn” nennen können. Das Wohnticket wird anonymisiert, etwa mit einem Synonym (Obst und Gemüsebezeichnungen bieten sich an, da hier ausreichend Begriffe zur Verfügung stehen und selten wertende Assoziationen vorliegen) versehen und mit den errechneten Punkten in einer Datenbank abgelegt.

Das Wohnungsamt erstellt wie bisher Datensätze (bald) verfügbarer Wohnungen. Diese werden mit den Bedürfnissen der Wohntickets in der Datenbank abgeglichen und der “Match” mit den meistens Punkten zur Zuweisung vorgeschlagen. Im Sonderfall eines Durchmischungswunsches (Besserverdiener) können diese Sonderpunkte vor der Datenbanksuche eingegeben werden und werden automatisch und anonym berücksichtigt. Das Wohnungsamt kennt die hinter den Wohnungstickets stehenden Identitäten der Bewerber nicht, Interventionsversuche dort oder bei Funktionären scheitern automatisch, da technisch gar nicht möglich!

Durch die strukturelle Trennung von Wohnungs und Bewerberdatenbearbeitung entstehen im Wohnungsamt freie Kapazitäten, die durchaus sinnvoll zur Bearbeitung des Wohnungsmarktes und etwa eines Leerstandsmanagements genutzt werden können. Genau diese Expertise ist ja genau dort vorhanden und kann nun viel besser eingesetzt werden. So komme auch noch mehr Objekte zur Vergabe!

Nun kann ein weiterer Vorteil dieser Digitalisierung greifen: Standardzuweisungen von Wohnungen an Wohnungssuchende, die schlicht aufgrund des festgelegten Algorithmuses erfolgen, müssen nicht mehr extra vom Wohnungsausschuss zusätzlich bestätigt werden. Es gelangt nur mehr eine Information dazu in den Datenzugang der Ausschussmitglieder auf Dornbirn/Sitzungen und kann dort nachgelesen werden. Ohne Möglichkeiten, manipulativ in die Vergabe einzugreifen, wird auch die entsprechende Kontrollfunktion obsolet. Die Zahl der zeitaufwendigen Ausschusssitzungen sinkt drastisch, der Ausschuss kann sich auf Sonderfälle und allgemeine Wohnthemen konzentrieren.

Jener geschützte Bereich der Datenbank, in dem Wohnungsticket das Synonym zugewiesen wird, ist zugangstechnisch voll verschlüsselt. Jeder einzelne Zugriff dort wird automatisch registriert und ebenfalls an alle Ausschussmitglieder kommuniziert. Für einen eventuellen Zugriff ist die Eingabe eines zwingenden Grundes nötig, der nur technischer Natur sein darf.

Ein verbessertes Service für Wohnticketinhaber lässt sich auch – dem Vorbild der Stadt Wien folgend – derart erreichen, dass zur Vergabe kommende Wohnungen mit Fotos und Plänen digitalisiert zugänglich gemacht werden. Wohntickets, die im oberen Drittel der Punkte- und damit der Warteliste sind, werden auf diese Wohnungen aufmerksam gemacht und können eine Vorabbewertung abgeben. Gefällt die Wohnung nicht, kann dies ohne weitere negative Folgen vermerkt werden. Dann wird bei der automatischen Zuteilung einfach auf den nächstfolgenden passenden Platz auf der Liste zugegriffen. So bleibt alles fair und die Zufriedenheit steigt.




Um diese bisher nur grob skizzierte Idee nochmals “auf Herz und Nieren” und Gesetzeskonformität zu prüfen, ist nun eine Machbarkeitsstudie und Detailprüfung vorzunehmen. Anschließend ist diese Studie den zuständigen Gremien zu präsentieren. Bei Zustimmung ist dann ein Plan für die neuen Amtsstrukturen sowie ein Lastenheft für die IT-Abteilung vorzulegen. So steht einer Umsetzung dieser wohl auch für andere Gemeinden als “Vorzeigemodell” zu sehenden Lösung nichts mehr im Wege. Vorläufig nenne ich die Idee mal das “Demelius”-Vergabemodell.

21/06/2020/Ebi / Ideenrechte vorbehalten

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